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Querschnittslähmung

Elena Leibold

Elena Leibold
Kontinenz-Expertin
Examinierte Krankenschwester
Fachkraft für Kontinenzförderung

Was ist eine Querschnittslähmung?

Eine Querschnittslähmung ist die Folge eines verletzten oder vollständig durchgetrennten Rückenmarks. Die sich unterhalb des verletzten Abschnitts befindlichen Gliedmaßen sind gelähmt. Jede Querschnittslähmung hat ihr individuell ausgeprägtes Schädigungsmuster. Die Lähmungserscheinungen und der Ausfall bestimmter Funktionen sind umso schwerwiegender und ausgeprägter, desto höher das Rückenmark – und damit die Nervenbahnen in der Wirbelsäule – verletzt worden ist.

Weltweit erleiden Schätzungen zufolge mehr als 250.000 Menschen eine akute Rückenmarksverletzung.

Diese Funktionsbereiche des Rückenmarks sind bei einer Querschnittslähmung mehr oder weniger gestört. Das heißt, neben der Lähmung von Armen und Beinen können auch Atembeschwerden sowie Inkontinenz, und zwar sowohl Harninkontinenz und Stuhlinkontinenz als auch Mischformen von beiden, auftreten.

Was sind die Ursachen?

In Deutschland sind jährlich rund 2.000 Menschen oftmals aufgrund eines Unfalls im Straßenverkehr oder beim Sport neu querschnittsgelähmt. Man spricht in diesen Fällen von einer traumatischen Querschnittslähmung; sie trifft vor allem Männer um die 40. Da das Rückenmark geschützt in dem knöchernen Wirbelkanal liegt, werden seine Nervenbahnen i.d.R. nicht direkt durchtrennt. Die Verletzungen werden vielmehr durch gebrochene Wirbelkörper hervorgerufen.

Bei den anderen Betroffenen dagegen – sie machen gut die Hälfte aus – sind Tumoren, Durchblutungsstörungen, Entzündungen des Rückenmarks, die bei der Kinderlähmung oder Multiplen Sklerose auftreten können, ein Bandscheibenvorfall, Infektionskrankheiten oder Autoimmunerkrankungen Ursache einer sog. nichttraumatischen Querschnittslähmung.

In seltenen Fällen ist die Querschnittslähmung angeboren, und zwar wenn sich in der embryonalen Entwicklung im Mutterleib das Neuralrohr, das sich später zum Rückenmark entwickelt, nicht schließt und ein Wirbelspalt offenbleibt. Werden bei dieser als Spina Bifida bekannten Fehlbildung Nerven geschädigt, kommt das Kind querschnittsgelähmt auf die Welt.

Welche Formen gibt es?

Man unterscheidet das Querschnittsyndrom, so der moderne Oberbegriff für Querschnittslähmung, nach der Lähmungshöhe (Paraplegie oder Tetraplegie), nach kompletter oder inkompletter Lähmung (Plegie oder Parese) und nach spastischer oder schlaffer Lähmung.

Je nachdem, auf welcher Höhe und wie schwer das Rückenmark der Betroffenen beschädigt ist, ist das Querschnittsyndrom komplett oder inkomplett. Im ersten Fall sind unterhalb der letzten beiden Wirbelkörper (Kreuzbeinwirbel 4 und 5) sämtliche motorische und sensible Funktionen ausgefallen. Das heißt, in der Anus-Region funktioniert der Schließmuskel nicht. Die Betroffenen fühlen dort auch nichts mehr. Bei einer inkompletten Querschnittslähmung dagegen sind noch teilweise Muskelaktivitäten und/oder sensibles Empfindungsvermögen vorhanden.

Die wichtigsten Unterschiede der verschiedenen Querschnitt-Formen sind: Bei einer kompletten oder inkompletten Tetraplegie ist das Rückenmark im Halsbereich verletzt. Arme, Beine und der gesamte Rumpf sind ganz oder zum Teil gelähmt, wobei auch die Atemmuskulatur betroffen sein kann. Hat das Rückenmark in Höhe der Lendenwirbelsäule Schaden erlitten, sind beide Beine und Teile des Rumpfes gelähmt. Diese Form der Querschnittslähmung wird in der Fachsprache Paraplegie genannt. Die Vorsilben „Para“ und „Tetra“ stammen aus dem Griechischen und beziehen sich auf die Anzahl der gelähmten Gliedmaßen.

So gibt es vier Hauptformen der Querschnittslähmung: Paraparese, Tetraparese, Paraplegie und Tetraplegie, wobei es sich hierbei lediglich um eine grobe Einteilung handelt. Die individuelle Ausprägung kann sehr unterschiedlich ausfallen.

1. Paraparese

Paraparese tritt häufig infolge von Schädigungen des Rückenmarks im Bereich der unteren Wirbelsäule auf und führt zu einer abgeschwächten Muskelfunktion in den Beinen, was das Gehen und Stehen beeinträchtigt. Die Betroffenen behalten oft eine gewisse Beweglichkeit und Empfindung in den Beinen.

Was ist eine Paraparese?

Welche Ursachen liegen zugrunde?

Was sind die Symptome?

Wie wird die Paraparese behandelt?

Wie ist die Prognose?

2. Tetraparese

Tetraparese entsteht durch Schädigungen des oberen Rückenmarks oder des Gehirns und führt zu einer verminderten Muskelkraft in allen vier Gliedmaßen. Diese Form der Parese kann die Bewegungsfähigkeit stark einschränken, wobei oft auch feinmotorische Fähigkeiten der Hände betroffen sind.

Was ist eine Tetraparese?

Welche Ursachen liegen zugrunde?

Was sind die Symptome?

Wie wird die Tetraparese behandelt?

Wie ist die Prognose?

3. Paraplegie

Paraplegie resultiert aus einer kompletten Durchtrennung oder schweren Schädigung des Rückenmarks im Bereich der unteren Wirbelsäule, was zu einer vollständigen Lähmung und dem Verlust der Sensibilität in den Beinen führt. Die Betroffenen sind in der Regel auf einen Rollstuhl angewiesen und benötigen Unterstützung im Alltag.

Was ist eine Paraplegie?

Welche Ursachen liegen zugrunde?

Was sind die Symptome?

Wie wird die Paraplegie behandelt?

Wie ist die Prognose?

4. Tetraplegie

Tetraplegie ist die Folge einer schweren Schädigung des oberen Rückenmarks oder des Gehirns, die eine vollständige Lähmung der Arme und Beine verursacht. Menschen mit Tetraplegie verlieren oft die Fähigkeit zur selbstständigen Bewegung und sind auf umfassende Pflege angewiesen.

Was ist eine Tetraplegie?

Welche Ursachen liegen zugrunde?

Was sind die Symptome?

Wie wird die Tetraplegie behandelt?

Wie ist die Prognose?

Neben den vier Hauptformen einer Querschnittslähmung gibt es noch die Unterscheidung zwischen einer schlaffen und einer spastischen Lähmung:

Schlaffe Lähmung

Eine schlaffe Lähmung ist eine Form der Muskellähmung, bei der die betroffenen Muskeln schlaff und kraftlos sind, oft infolge einer Schädigung der Nerven, die diese Muskeln versorgen. Dies führt zu einer verminderten Muskelspannung (Tonus) und einer deutlichen Schwäche oder einem völligen Verlust der Muskelkontrolle.

Was ist eine schlaffe Lähmung?

Welche Ursachen liegen zugrunde?

Wie sieht die Behandlung aus?

Spastische Lähmung

Eine spastische Lähmung zeichnet sich durch eine erhöhte Muskelspannung (Tonus) und unwillkürliche Muskelkontraktionen aus, die durch Schädigungen im zentralen Nervensystem verursacht werden. Diese Form der Lähmung führt zu steifen, unbeweglichen Muskeln und kann die Bewegungsfähigkeit stark einschränken.

Was ist eine spastische Lähmung?

Welche Ursachen liegen zugrunde?

Wie sieht die Behandlung aus?

Wie wird die Diagnose gestellt?

Menschen mit einer Verletzung des Rückenmarks sollten in einem spezialisierten Querschnittszentrum versorgt werden. Vor der Therapieentscheidung nehmen die Ärzte umfassende Untersuchungen vor: Sie bestimmen, wie viel restliche Muskelkraft in den Körperbereichen unterhalb der Rückenmarksverletzung und inwieweit noch Reflexe und Empfindungsvermögen vorhanden sind. Häufig lässt sich anhand der Untersuchungsbefunde die Region der Schädigung einengen.

Beeinträchtigungen der Organe stellen sie u.a. mit speziellen Funktionsuntersuchungen wie der Video-Urodynamik, Ultraschalluntersuchungen von Nieren und Harnblase, Messungen von Herzfrequenz und Blutdruck sowie neurophysiologischen Untersuchungen fest.

Von zentraler Bedeutung bei der Diagnose einer akuten Querschnittslähmung ist der Zeitfaktor. Eine Chance auf eine Rückbildung einer kompletten Querschnittslähmung besteht nur innerhalb der ersten 24 Stunden. Eine wesentliche Rolle spielen die bildgebenden Verfahren. Nach Erheben der Verdachtsdiagnose sollte zeitnah zumindest ein Computertomogramm (CT) und falls erforderlich ein Magnetresonanztomogramm (MRT) erfolgen. Bei einem Unfall muss allerdings zuerst nach lebensbedrohlichen Verletzungen der Lunge, des Bauches oder des Kopfes geschaut werden. Besteht hier keine Gefahr, richtet sich dann die Aufmerksamkeit auf das Rückenmark.

Bilder der Computer- und Magnetresonanztomografie zeigen, wo und in welchem Ausmaß das Rückenmark beschädigt ist. Anhand der bildgebenden Verfahren können die Ärzte auch entscheiden, ob und wie dringend der Betroffene operiert werden muss. Besteht noch eine Chance, das Rückenmark durch eine Entlastung, in der Fachsprache Dekompression genannt, zu retten, erfolgen die Eingriffe mit hoher Dringlichkeit zum ersten vertretbaren Zeitpunkt. Das ist besonders bei instabilen Wirbelbrüchen der Fall, das heißt, wenn Bruchstücke des Wirbels auf das Rückenmark drücken und weitere Schäden hervorrufen können. Ist das Rückenmark jedoch unwiederbringlich zerstört, dient ein Eingriff nur der Herstellung der Stabilität und ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Rehabilitation. Dieser erfolgt dann erst nach Stabilisierung der Gesamtsituation zu einem geplanten Zeitpunkt.

Häufig ist die Wirbelsäule aber auch trotz der Verletzung ausreichend stabil und heilt ohne Operation aus.

Was ist ein spinaler Schock?

Der sog. spinale Schock tritt unmittelbar, meist 30 bis 60 Minuten, nachdem das Rückenmark bei einem Unfall schwer verletzt wurde, auf. Unterhalb dieser Verletzung fallen alle sensiblen, motorischen und vegetativen Nervenfunktionen aus, und zwar unabhängig davon, wie schwer und wie dauerhaft die Schädigung in Wirklichkeit ist. Der Verlust der zentralen Kontrolle über die Gefäßsteuerung führt zu einem „Versacken“ des Blutvolumens im Körper. Die Herzfrequenz kann nur bedingt gesteuert werden und der Blutdruck fällt ab. Tritt zusätzlich ein Blutverlust durch eine Wunde ein, versagt das System vollständig und der Blutdruck fällt dramatisch bis zum Kreislaufversagen.

Der spinale Schock, der mit einer schlaffen Lähmung der Muskeln einhergeht, kann wenige Stunden, aber auch Tage oder Wochen andauern. Es handelt sich um einen lebensbedrohlichen Notfall und wird auf einer Intensivstation behandelt.

Zu welchen Symptomen kommt es bei einem spinalen Schock?

Neben den Lähmungen der Gliedmaßen und Rumpfmuskulatur leiden viele Betroffene an einer Harninkontinenz und/oder Stuhlinkontinenz. Sie können die Blase nicht kontrollieren und sie nicht aktiv entleeren. Es kommt zu einer maximalen Fühlung der Blase mit mehr als 1,5 Liter Urin. Erst dann gehen kleinere Urinmengen durch den Überdruck ab. Der Stuhlgang ist in der frühen Phase meist nur mit Hilfen wie Abführmittel, Einläufen und Darmmassage möglich. Erst später kommt es zu spontanem unkontrolliertem Stuhlabgang. Danach etablieren sich bestimmte reflektorische Kontrollen, die der Patient mit den Therapeuten selbst trainieren muss.

Wie ist die Prognose?

Erst wenn sich der Kreislauf wieder stabilisiert hat und sich der spinale Schock nach und nach löst, können die Fachärzte den wirklichen Grad der Behinderung feststellen, denn dann werden Rückenmarksnerven unterhalb der verletzten Stelle wieder aktiv. Autonome Funktionen wie Reflexe, Stoffwechsel und Verdauung kommen wieder in Gang.

Besteht ein vollständiger Ausfall aller Funktionen über 24 Stunden nach der Verletzung und Stabilisierung des Kreislaufs hinaus, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Rückbildung der Lähmung stark ab. Sind dagegen noch Gefühlswahrnehmungen und auch nur minimale willkürliche Bewegungen unterhalb der Verletzungshöhe möglich, handelt es sich um eine inkomplette Querschnittslähmung mit deutlich besserer Chance, verlorene Funktionen wiederzuerlangen.

In anderen Fällen zeigt sich erst im Laufe der ersten Tage das vollständige Ausmaß der Schädigung, denn sowohl der spinale Schock als auch die Begleitverletzungen verschleiern oft das Ausmaß der Beeinträchtigung. Bei einer Schädigung unterhalb der C5-Wurzel der Halswirbelsäule ist immer Zwerchfellatmung möglich, muss aber trainiert werden. Gleichzeitig können Spasmen, bei denen sich ein oder mehrere Muskeln unwillkürlich zusammenziehen und schmerzen, auftreten. Werden diese frühzeitig erkannt und behandelt, besteht eine gute Chance, diese in den Griff zu bekommen.

Wie sieht die Behandlung aus?

Grundsätzlich sollten Menschen mit einer Verletzung des Rückenmarks so früh wie möglich in einer spezialisierten Einrichtung versorgt werden. Zum Teil handelt es sich hier um Querschnittszentren, meist jedoch um große Krankenhäuser mit spezialisierten Wirbelsäulenchirurgen.

Aufgrund der komplexen und individuell sehr unterschiedlich ausfallenden Symptome und betroffenen Organsysteme sind Ärzte aus verschiedenen Fachdisziplinen an der Behandlung der Betroffenen beteiligt.

Folgende Behandlungen bei einer Querschnittslähmung können nötig sein:

Operative Eingriffe

Bei jedem zweiten durch einen Unfall querschnittsgelähmten Patienten müssen die Ärzte auch Verletzungen des Schädels, Brustkorbs, Bauchraums oder Knochenbrüche behandeln.

Dekubitus vorbeugen

Ausgesprochen wichtig in der Behandlung ist es, zu vermeiden, dass sich ein Dekubitus bildet. Deswegen müssen die Betroffenen alle zwei bis drei Stunden in einem Spezialbett umgelagert werden. Diese systematische Lagerungsbehandlung dient dazu, mögliche Brüche ruhig zu stellen, den Kreislauf zu verbessern und Hautschäden zu vermeiden. Insbesondere bei polytraumatisierten, das heißt mehrfach verletzten Patienten, sind die Lagerungsmöglichkeiten durch die Begleitverletzungen eingeschränkt. Dies stellt eine große Herausforderung an die Krankenpflege dar und belastet auch die Betroffenen selbst erheblich. Die Betroffenen und Angehörige müssen lernen, damit umzugehen, damit sich gar nicht erst Druckgeschwüre bilden. Im weiteren Verlauf müssen Hilfsmittel wie ggf. Spezialmatratzen, aber in jedem Fall der geeignete Rollstuhl mit Spezialsitzkissen, individuell angepasst werden, um das Risiko des Entstehens von Drückgeschwüren weiter zu minimieren.

Blasen- und Darmmanagement

Grundlegend in der Behandlung ist das Umgehen mit Blase und Darm, denn die Betroffenen leiden aufgrund der Lähmung an einer Harn- und Stuhlinkontinenz bzw. Verstopfung. Diese Beschwerden werden mit einem Blasenkatheter, Medikamenten oder Einläufen therapiert. Die Betroffenen lernen, die Blase vier- bis fünfmal täglich mit einem Einmalkatheter vollständig zu entleeren. Nach standardisierter Diagnostik wird das Lähmungsbild der Harnblase klassifiziert. Häufig müssen regelmäßig Medikamente zur Senkung des Blasendrucks, der „Blasenspastik“, eingenommen werden. Diese können als Tablette eingenommen oder in die Blase nach dem Katheterismus eingespritzt werden. Auch Botoxeinspritzungen in den Blasenmuskel können erfolgreich sein. Operationen an den blasensteuernden Nerven oder an Harnblase und Schließmuskel runden die Behandlungsmöglichkeiten ab, die individuell für den Patienten ausgewählt werden müssen. Ziel ist es, eine gesunde Harnspeicherphase mit Kontinenz wieder herzustellen, um lebensbegrenzende urologische Komplikationen zu vermeiden. Eine lebenslange Kontrolle und Nachsorge ist erforderlich.

Atmung trainieren und unterstützen

Bei Betroffenen mit einer Tetraplegie oder hohen Paraplegie kann die Atemmuskulatur beeinträchtigt sein. Oftmals benötigen sie anfangs immer wieder für rund zwei Stunden eine Atemmaske, die mithilfe einer druckunterstützten Beatmung die eigene Atmung unterstützt.

Medikamentengabe

In der akuten Therapie erhalten die Patienten meist innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden hochdosiert Kortison, um Schwellungen des Rückenmarks zu verhindern. Fachgesellschaften sprechen sich allerdings inzwischen gegen die Gabe von Kortison aus, weil der Nutzen der Therapie nicht ausreichend belegt ist.

Oftmals ist auch der Herzschlag verlangsamt oder der Blutdruck gefährlich niedrig, was mit bestimmten Medikamenten therapiert wird. Da sich in den Gefäßen von Querschnittsgelähmten häufig lebensgefährliche Blutgerinnsel bilden, kann es sein, dass sie Arzneien zur Blutverdünnung einnehmen müssen.

Schmerzen lindern

Nicht nur Medikamente, sondern auch hydroelektrische Bäder und ätherische Öle werden gegen die Schmerzen eingesetzt.

Was passiert in der Rehabilitation?

Eng verzahnt mit der Akut-Behandlung sind erste Schritte der Rehabilitation, die i.d.R. schon in der Akutphase auf der Intensivstation vorgenommen werden. So wird der eingangs erwähnte Martin Kriegel bereits eine Woche nach seinem Unfall in eine Klinik in Duisburg verlegt. Insgesamt dauert die Rehabilitation danach noch vier bis sechs Monate bei einer Paraplegie und acht bzw. oft noch mehr Monate, wenn eine Tetraplegie vorliegt.

„Mein Leben hat eine 180°-Wendung gemacht und ich bin von ,selbstständig in allen Bereichen’ auf ,oftmals auf Hilfe angewiesen’ zurückgefallen. Ich muss mich immer noch daran gewöhnen, Hilfe anzunehmen beziehungsweise danach zu fragen.“ (Marcus Kriegel, im Interview auf der Website von Wings for Life)

Ziel der Rehabilitation ist, dass der Querschnittsgelähmte trotz seiner schweren Behinderung so unabhängig wie möglich sein Leben führen und gestalten kann.

Physiotherapie

Eine wichtige Säule der Rehabilitation ist die Physiotherapie. Hier lernen die Patienten z.B. im täglichen Stehtraining mithilfe eines Stehbrettes, in die aufrechte Position zu kommen, das Gleichgewicht im Sitzen zu halten und noch intakte Muskeln mit gezielten Übungen zu stärken. So ist eine kräftige Armmuskulatur enorm wichtig, um sich später mit dem Rollstuhl fortbewegen zu können oder sich aus dem Bett auf einen Stuhl zu bewegen. Die Betroffenen müssen mit der gesamten Armkraft ihren Körper versetzen. Die Gelenke werden regelmäßig vom Physiotherapeuten durchbewegt, damit sie nicht versteifen.

Ein weiteres Ziel ist es, auch wieder eine gute Rumpfstabilität zu erreichen. Beim Atemtraining muss der Hustenstoß gekräftigt werden, um Lungenentzündungen zu vermeiden und je nach Lähmungshöhe wieder eine stabile Spontanatmung zu erreichen.

Blasen- und Darmmanagement

Die Patienten erlernen, ihre Harnblase hygienisch einwandfrei mit einem Einmalkatheter mehrfach täglich zu entleeren. Hierzu stehen unterschiedliche sterile Kathetersysteme verschiedener Hersteller zur Verfügung, sodass auf die individuellen Bedürfnisse und Notwendigkeiten eingegangen werden kann, um Folgekomplikationen möglichst zu vermeiden. Ein individuell abgestimmtes Harnblasenmanagement schützt nicht nur vor wiederkehrenden Infektionen und Harninkontinenz mit sozialer Isolation und Hautschäden, sondern ist auch Basis für den Schutz der Nierenfunktion, für den Erhalt von Lebensqualität und -erwartung.

Das Darmmanagement muss mit dem Ernährungs- und Flüssigkeitsmanagement eng abgestimmt sein. Ein verlässliches Darmmanagement kann durch unterschiedliche Hilfsmittel unterstützt werden. Ein Baustein ist die anale Irrigation, die nur indiziert und ärztlich verordnet zum Einsatz kommen sollte, wenn andere Optionen nicht erfolgreich sind.

Rollstuhl-Training

Zentral in der Rehabilitation ist das Rollstuhl-Training, in dem die Betroffenen lernen, den Rollstuhl anzutreiben und mit ihm in unterschiedlichen Situationen im Alltag zurecht zu kommen. Der Rollstuhl und das notwendige, druckentlastende Spezialsitzkissen müssen individuell angepasst sein, damit der Betroffene in seiner selbstbestimmten Mobilität nicht eingeschränkt ist. Mit der Auswahl des Hilfsmittels müssen mögliche Folgekomplikationen an Haut und Bewegungsapparat sowie Wirbelsäule bei schlechter Sitzhaltung, unzureichender Druckentlastung etc. vermieden werden.

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Das Ausprobieren unterschiedlicher Modelle, Sitzdruckprüfungen, richtiges Ausmessen und Anpassen sind nur ein Teil notwendiger Maßnahmen. Zu prüfen ist die Notwendigkeit restkraftverstärkender Zusatzantriebe, Zuggeräte oder Handbikes oder aber auch der Einsatz eines Elektrorollstuhls mit unterschiedlichen Funktionen bei hoher Paraplegie oder aber auch bei Erkrankungen im Bereich der oberen Extremitäten.

Psychologie

Ein wesentlicher Aspekt in der Behandlung ist die psychologische Begleitung, um sich mit der Behinderung, die das bisherige Leben völlig auf den Kopf stellt, auseinanderzusetzen. Es gilt, zu akzeptieren, dass man sich nicht mehr selbstverständlich bewegen kann, auch wenn man es noch so intensiv will, und neue Wege und Möglichkeiten für ein erfülltes Leben zu finden.

Ergotherapie

In der Ergotherapie lernen die Patienten, im Haushalt selbstständig klarzukommen. Dazu gehört es, sich trotz der Behinderung anzuziehen, zu waschen, Mahlzeiten zuzubereiten und zu essen. Je nach Lähmungsausmaß lernen sie z.B., einen Löffel oder eine Gabel zu halten, zum Mund zu führen und in den Mund zu schieben. Sie lernen außerdem, zu schreiben oder ein Handy zu bedienen – Verrichtungen, die früher selbstverständlich waren und nun der Lebenssituation neu angepasst werden müssen. Je nachdem, ob und inwieweit noch Restfunktionen in Armen und Händen vorhanden sind, werden diese in gezielten Übungen gestärkt.

Funktioniert noch ein Teil der Nervenzellen, können Betroffene sogar neue Bewegungen, sog. Trickbewegungen, erlernen. So bezeichnet man Bewegungsabläufe, die fehlende Muskelfunktionen oder Muskelkraft durch Ausweichbewegungen ausgleichen. Verkürzt man beispielsweise die Muskeln durch Tapen der Hände, lassen sich verschiedene Griffarten ausüben: Beim Arm heben öffnet sich die Hand, beim Senken schließt sie sich wieder. 

Wie ist die Prognose?

Immerhin können 20 bis 30 Prozent der Patienten mit einer Tetraplegie, die also vier gelähmte Extremitäten haben, die Bewegungsfähigkeit verbessern und die Körperfunktionen eher kontrollieren. Dennoch: 70 Prozent der Menschen mit einer Querschnittslähmung bleibt ein Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen. Er ist sicher eines der wichtigsten Hilfsmittel im Alltag der Betroffenen. Liegt eine inkomplette oder im Rückenmark sehr tief ansetzende Querschnittslähmung vor, können Orthesen die Beine beim Gehen unterstützen. Kissen und Schaumstoffkeile für die Lagerung im Bett sowie Spezialmatratzen wirken dem Wundliegen entgegen.

Wichtigstes urologisches Hilfsmittel der Betroffenen ist der Einmalkatheter, wie eine Multicenterstudie mehrerer beteiligter Kliniken in Deutschland zur Ermittlung des täglichen Bedarfs an urologischen Hilfsmitteln gezeigt hat. Nach den im Jahre 2016 publizierten Ergebnissen mussten mehr als zwei Drittel der knapp 800 an der Studie beteiligten Patienten ihre Blase mittels Einmalkatheter entleeren. Einige Patienten benötigen zusätzliche Inkontinenzprodukte wie Einlagen, Vorlagen, Inkontinenzslips oder -pants, die Urin aufsaugen oder ein für Männer geeignetes Urinalkondom, um die Folgen der Harninkontinenz weiter zu minimieren.

Das neue Leben anzunehmen und sich daran zu gewöhnen, vieles neu zu lernen, was früher von allein funktionierte, ist eine enorme Herausforderung.

Marcus Kriegel hat sich auf den Weg gemacht in ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben.
Er sagt: „Ich will so normal wie möglich am Leben teilnehmen und mich nicht zuhause verkriechen.“

Elena Leibold

Elena Leibold
PROLIFE homecare GmbH, Kaufungen

Elena Leibold ist examinierte Krankenschwester und arbeitet seit 2006 in diesem Beruf. Seit August 2023 ist sie Teil des PROLIFE-Teams. Ihre Hauptaufgaben umfassen die Betreuung und Beratung der Online-Kunden sowie die Bemusterung und Belieferung.
Ihr Fokus als Fachkraft für Kontinenzförderung liegt auf der Unterstützung von Patienten mit ableitender Inkontinenz und auf dem Bereich ISK, insbesondere bei Querschnitt-Patienten. In enger Zusammenarbeit mit der Orthopädischen Klinik in Hessisch Lichtenau betreut sie diese Patientengruppe regelmäßig.​
Ihr Ziel ist es, nicht nur ihre fachliche Expertise zu erweitern, sondern auch in anderen Lebensbereichen, die von Inkontinenz betroffen sind, aufzuklären und kompetent zu beraten.


Experteninterview mit Elena Leibold

Kontinenz-Expertin Elena Leibold beantwortet die drei wichtigsten Fragen für Querschnittgelähmte:

Elena Leibold
Elena Leibold PROLIFE homecare GmbH, Kaufungen
  • Kontinenz-Expertin
  • Examinierte Krankenschwester
  • Fachkraft für Kontinenzförderung

Frage 1: Welche Katheter sind deiner Meinung nach am besten für Betroffene mit einer Querschnittlähmung geeignet?

Für Patienten mit Querschnittlähmung, die oft auch eine eingeschränkte Handfunktion haben, eignen sich am besten Katheter, die komplett berührt werden können und zugleich eine hygienische Nutzung gewährleisten.

Besonders empfehlenswert sind Einmalkatheter wie der VaPro von Hollister oder Produkte von Manfred Sauer, die so konzipiert sind, dass sie vollständig berührt werden können, ohne die Sterilität zu gefährden. Des Weiteren ist es von Vorteil, wenn der Katheter nicht zu elastisch ist, sondern eher starr, um das Einführen in die Harnröhre zu erleichtern.

Frage 2: Welche zusätzlichen Hilfsmittel empfiehlst du für die Katheterisierung bei einer Querschnittlähmung?

Zusätzliche Hilfsmittel für die Katheterisierung sollten den Prozess so einfach und hygienisch wie möglich gestalten. Alle benötigten Materialien wie Katheter, sterile Tupfer, Desinfektionsmittel, Urinbeutel usw. sollten vorab vorbereitet und griffbereit angeordnet sein. Ein Abwurfbehälter in unmittelbarer Nähe sorgt für eine sichere und schnelle Entsorgung gebrauchter Materialien.

Für Frauen kann ein Spiegel, der zwischen den Beinen platziert wird, die Sicht erleichtern. Im Sitzen kann ein Beinspiegel mit Klett am Bein befestigt werden.

Für Männer sind Hosenspanner praktisch, um die Hose während der Katheterisierung im Sitzen unten zu halten. Alternativ kann auch ein Kleiderbügel verwendet werden, um die Hose in Position zu halten.

Frage 3: Was ist dein wichtigster Tipp zur ISK-Routine bei Querschnittlähmung? 

Es kommt vor allem darauf an, Ruhe zu bewahren und die Routine mit Sorgfalt und Geduld durchzuführen. Es ist wichtig, dass gerade am Anfang eine ausreichende Sicht auf den Harnröhreneingang gegeben ist, um unnötiges „Rumstochern“ zu vermeiden. Es ist essenziell, die Situation anzunehmen, Rückschläge zu akzeptieren und am Anfang konsequent alle 4 Stunden zu katheterisieren, soweit sich das mit der ärztlichen Empfehlung deckt, um die Blase so gesund wie möglich zu erhalten. Da der Patient aufgrund der Querschnittlähmung ja keinen Harndrang verspürt, muss er sich deshalb an die vorgegebenen Zeiten halten, um Komplikationen zu vermeiden.